Ja, es hat mich erwischt. Ich muss es unumwunden zugeben. Nach vielen Jahren habe ich wieder einmal den Wiener Ball in Berlin besucht. Und plötzlich hatte ich – gebürtiger Wiener, der schon jahrzehntelang in Berlin lebt – Heimweh. Ein bisschen. Nur ein paar Minuten lang, vielleicht fünf oder sechs. Aber doch: richtig Heimweh.
Ich saß am Rande der Tanzfläche im Maritim proArte Hotel in Berlin-Mitte am festlich gedeckten Tisch und hatte den besten Blick auf die Debütantinnen und deren Begleiter. Dann kamen die Walzer. Kaiserwalzer, Donauwalzer, da hat es mich erwischt.
Walzer. Es ist ein halbes Jahrhundert her, dass ich in Wien „den Elmayer“ besucht habe, eine der legendären Tanzschulen in der österreichischen Hauptstadt. Die Elmayer-Eleven eröffnen seit eh und je hochkarätige Bälle an der Donau. Und jetzt sitze ich hier an der Spree, betrachte die Tänzer der Tanzschule Broadway aus Spandau. Dann das Kommando: „Alles Walzer!“ Der Walzer hat mich im Griff. Er zieht mich aufs Parkett. Der Dreivierteltakt geht ins Gemüt und in die Glieder. Ich, abgebrühter Journalist, erkenne mich nicht wieder: plötzlich sentimental.
Bälle in Berlin sind eine Rarität. Es gibt nur wenige. Kein Vergleich zu Wien. Dort finden alljährlich mehr als 520 Bälle statt. Mehr als 500.000 Ballgäste vergnügen sich in den imperialen Gebäuden in Wien und machen die Ballsaison nicht nur zum Spaß-, sondern auch zum Wirtschaftsfaktor.
Ernst Woller, Erster Präsident des Wiener Landtages, weist in seiner Begrüßungsansprache darauf hin, dass Wien nicht nur mit Bällen, sondern auch mit Universitäten Berlin überholt habe. Wien habe 21 Universitäten, die 200.000 Studenten machten mehr als zehn Prozent der Wiener Bevölkerung aus. Und so nebenbei: Wien werde seit 16 Jahren als lebenswerteste und grünste Stadt ausgezeichnet.
„Wiener Bälle sind die sympathischste Visitenkarte weltweit“, verkündet Woller mit Stolz. Weltweit gibt es vierzig Wiener Bälle jedes Jahr. Michael Scherz, Österreichs Handelsdelegierter in Deutschland, bekräftigt, wie sehr die Wiener Bälle eine wesentliche Reklame für Wien und Österreich seien. Bürgermeister Michael Ludwig schreibt in seinem Grußwort über „den lebensbejahenden und menschenverbindenden Spirit“: „Diese einzigartige Musik und das ‚Wiener Lebensgefühl‘ machen die Wiener Bälle zu bedeutenden internationalen Ereignissen.“
In Vertretung von Botschafter Michael Linhart erklärt Generalkonsul Stefan Hochmuth den Wiener Ball – es ist der 55. Wiener Ball in Berlin – für eröffnet. Werner Götz und sein Team in der Österreichisch-Deutschen Gesellschaft Berlin-Brandenburg (ÖDG) organisieren das Event seit 29 Jahren ehrenamtlich. Werner Götz agiert vielschichtig: Auf lokaler Ebene ist er Präsident der ÖDG, auf nationaler Ebene ist er Präsident des Dachverbands Österreichischer Vereinigungen in Deutschland (DÖVD) und auf globaler Ebene ist er (seit einem halben Jahr) Präsident des Weltbundes der Auslandsösterreicher (AÖWB). Mehr geht nicht.
„Das ist Treue“, betont Götz, als er das Ballorchester Christoph Sanft vorstellt. Seit 26 Jahren begleitet das Orchester den Wiener Ball. Man hat sich aneinander gewöhnt. Das Tanzpublikum dankt es. Junge Leute mit frischem Elan und einige Herrschaften mit erstaunlicher Vitalität. Manche wirken, als hätten sie gerade ihren Rollator an der Garderobe abgegeben, nur um das Tanzparkett als Jungbrunnen zu nutzen. Respekt! Es wäre schön, wenn dies dereinst auch im eigenen Lebensabend gelänge.
Der Losverkauf zugunsten von Witwen und Waisen in der Ukraine machte das Event zum Benefizball. Mit Gesangs- und Musikdarbietungen sorgten die Künstler Fabio Felsberger, Jubin Amiri und die Sopranistin Mariella Hofbauer für Abwechslung. Und wer lang genug durchgehalten hat, konnte sich in der Checkpoint Bar des Hotels mit einem Absacker verwöhnen lassen.
Ein kleiner Tipp, noch streng geheim: Der nächste Wiener Ball findet am 13. April 2024 statt.
Ewald König